Über die Parasite Kitchen
Die Feuerstelle und Küche waren seit jeher das Zentrum oder Herz menschlicher Behausung, von Häusern oder Wohnungen und ist der zentrale Ort, an dem alle zusammenkommen. Hier werden die Fragen des Wie zusammen Lebens gestellt, die wesentlichen Dinge besprochen, für das körperliche Wohlbefinden gesorgt und Gemeinschaft gelebt. Doch die Küche ist zugleich das Innerste, Privatraum, ohne Zugang für Außenstehende. Was geschieht nun, wenn man das Innerste nach außen kehrt, die Küche vor das Haus stellt? Was, wenn die Küche selbst nach außen wandert, wenn sich das Herz öffnet und sich beobachtbar macht?
Wir richten mit Parasite Kitchen – zwischen Kunst, Wissenschaft und Gestaltung – eine temporäre Küche auf dem Skulpturenplatz der Kunsthalle Mannheim ein und suchen – Menschen! Wir stellen Fragen: “Wie zusammen leben”? Wie sieht Ihre Küche aus? Was macht sie aus? Welche Bedeutung haben Ästhetik, die Sinne, Kunst und Gestaltung für das Zusammenleben? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Küche, Kochen und Kunst?
Wie fragen Künstler:innen, Designer:innen, oder Wissenschaftler:innen nach dem Zusammenleben? Wie erforscht man die Zukunft des Zusammenlebens mit den Mitteln der Kunst?
Parasit bedeutet auf griechisch „Mitesser“ bzw. „para“ = nahe des „sitos“ = dem Essen. Parasite Kitchen geht es um eine Gemeinschaft nebeneinander Essender und den Austausch untereinander. Ein Parasit nutzt aber auch subversive Taktiken und Strategien, um sich unbemerkt von einem Wirt zu ernähren. Es geht um unzugängliche Information und gewollte Irritation. Mit Parasite Kitchen machen wir genau das – wir besuchen einen öffentlichen Raum mit der alltäglichen Praxis des Kochens, die eigentlich in die eigenen vier Wände gehört, und stülpen diese nach Außen. Wir sind Parasit des Raumes, irritieren ihn, werden dabei gleichzeitig zum Wirt für unsere Gäste und gelangen somit zu unseren Fragen, des Wie zusammen Lebens.
Für zwei Wochen im Sommer 2024 bekommt Mannheim einen offenes Stadtlabor Küche, ein Küchenatelier, ein neues, offenes Herz, mitten im Herz Mannheims. Ein exploratives, künstlerisches Projekt, offenes Stadtlabor und Atelier, Kunstausstellung, Live-Performances, Vorträge, Interventionen, Gespräche, Podcasts, – und natürlich gemeinsames Kochen und Essen.
Eine Veranstaltung der Kunsthalle Mannheim in Kooperation mit der Fakultät für Gestaltung, Hochschule Mannheim und dem Werkbund Baden-Württemberg e.V. unter Leitung von Prof. Dr. Moritz Klenk (HS Mannheim) und Dr. Nina Rind (KIT Karlsruhe/Deutscher Werkbund Baden-Württemberg). Artist in Residence: Jakob Wirth
Vortragsreihe: Wie zusammen leben: Berichte aus der künstlerischen Forschung
Die Projektwochen werden durch eine Vortragsreihe im Auditorium der Kunsthalle vorbereitet und begleitet. Prof. Dr. Moritz Klenk, Kulturwissenschaftler an der Hochschule Mannheim, arbeitet in diesem Semester an der offenen Küche und an der Frage “Wie zusammen leben”. Die Vorträge finden im Rahmen der gleichnamigen Vorlesung, die im Sommersemester an der Hochschule Mannheim angeboten wird. Die Vorlesung zu Gast in der Kunsthalle – ist für Besucher:innen aller Art geöffnet! Darüber hinaus wird Dr. Nina Rind einen Vortrag zum Thema “Wohnumwelten” halten und Jakob Wirth bietet während der Projektwochen einen Artist Talk an zum Thema “Parasiten in der Küche. Was parasitäre Kunst alles mit einer Küche zu tun haben könnte”. Die Vorträge können einzeln oder als Serie besucht werden. Vorkenntnisse sind nicht nötig. Neugier genügt!
1. Vortrag: “Wie zusammen leben – und wie stellt man diese Frage heute?”
Prof. Dr. Moritz Klenk, Kulturwissenschaftler, Hochschule Mannheim
16. April 2024, 16:30 – 18:00 Uhr
Kunsthalle Mannheim, Auditorium
Abstract
“In welchem Abstand zu den anderen muß ich mich halten, um mit ihnen eine Gemeinschaft ohne Entfremdung, eine Einsamkeit ohne Exil zu verwirklichen?” — so fragte Roland Barthes 1976 in seiner Vorlesung “Wie zusammen leben” am Collège de France in Paris . Erst viele Jahre später und auf ganz unvorhergesehene Weise wurde deutlich, wie aktuell diese Frage heute noch ist. Doch wie denken wir sie weiter: auf welche Weise muss man eine solche Frage heute stellen, und wie heute schon für eine ungewisse Zukunft denken?
In seinem Vortrag entfaltet Prof. Dr. Moritz Klenk diese Frage für unsere heutige Zeit. Denn: es ist noch immer eine der vielleicht wichtigsten und rätselhaftesten Fragen überhaupt. Ist das Zusammenleben denn nicht vor allem etwas ganz Selbstverständliches? Und wie kann man nach dem Selbstverständlichen fragen? Und braucht man, um eine solche Frage zu stellen Kunst? Wenn ja: welche Bedeutung haben die Künste hier, und welchen Beitrag leisten die Kulturwissenschaften?
Der Vortrag ist einen Einladung, das Selbstverständliche zu befragen, und — vielleicht — zwischen Kunst und Wissenschaft, Vertrautes anders sehen, fühlen, wahrnehmen und denken zu lernen.
Dieser Vortrag bildet auch den Auftakt zu einer Vortragsreihe, die jenen Fragen des Wie zusammen Lebens in den kommenden Monaten weiterführt. Es wird eine wilde Reise, die von Wohnumwelten über Versuche eines experimentellen Lebens und das Leben als Kunstwerk, hinein ins Herz, den ‘heiligsten’ Ort des konkreten Lebens führt: die Küche.
2. Vortrag: “Wohnumwelten”
Dr. Nina Rind, Kunst- und Architekturhistorikerin, KIT Karlsruhe
7. Mai 2024, 16:30 – 18:00 Uhr
Kunsthalle Mannheim, Auditorium
Abstract
Wohnen ist existenzielles Grundbedürfnis und alltägliche soziale Praxis, knappes Gut und wohnungspolitische Herausforderung, aber auch Ausgangspunkt und Vision architektonischer Entwürfe und sozial-utopischer Projekte.
Am Beispiel von historischen Konzepten sowie Wohn- und Wohnbauprojekten tastet sich der Vortag an die heutigen Fragen zum Wohnen heran. Dabei geht es zum einen um die physische Umgebung des Wohnens, dem Zimmer, der Wohnung, dem Haus, dem Zelt etc. Es geht aber auch um die Dimension unserer sozialen Umwelt: Mit wem wohnen wir? Das können die Stadt, die Nachbarschaft, die Familie, die Mitwohnenden sein. Eine dritte Dimension wird durch die Dinge mit denen wir wohnen bestimmt. Und schließlich sollen mit einer vierten Dimension auch nicht menschliche Mitwohnende in die Diskussion über unsere Wohnumwelt eingeführt werden: Tiere wie Pflanzen, drinnen wie draußen. Anders als in der Architekturgeschichte üblich wird hier der Fokus auf die Alltäglichkeit und Sinnlichkeit des Wohnens in diesen vier Dimensionen gelegt und als tiefergehende Befragung teilweise gut bekannter historischer Beispiele exemplarisch diskutiert.
3. Vortrag: “Experimental Everything – das Leben als künstlerisches Experiment”
Prof. Dr. Moritz Klenk, Kulturwissenschaftler, Hochschule Mannheim
28. Mai 2024, 16:30 – 18:00 Uhr
Kunsthalle Mannheim, Auditorium
Abstract
Experimente dienen, so die allgemeine Überzeugung, der Überprüfung von Hypothesen, um noch unbekannte Antworten auf bekannte Fragen zu finden. Doch dann führen Experimente einen oft auf ungeahnte Abwege, Umwege oder bringen vollkommen Unvorhergesehenes hervor. Und was fängt man nun damit an? Und was macht man, wenn man nicht nur auf der Suche nach Antworten, sondern vielleicht auf der Suche nach anderen, neuen Fragen ist?
Der Vortrag stellt Beispiele und Formen zwischen Kunst und Wissenschaft vor, in denen das das Experiment zur Haltung, zur Experimentalität geworden ist, die das ganze Leben erfasst. Was geschieht, wenn man das ganze Leben zu einem großen Experiment — oder zu einem Kunstwerk erklärt? Welche Dynamik kann entstehen, wenn nicht nur das Leben zum Experiment, sondern auch umgekehrt das Experiment lebendig, vom Leben mitgerissen wird? Und auf welche Weise ergänzt die Kunst ein wissenschaftliches Verständnis von Experiment und führt noch darüber hinaus? Ist das noch Wissenschaft oder Kunst oder … Magie?
Lassen Sie sich irritieren und inspirieren, von radikalen Versuchen in Künsten und Wissenschaften, Experimenten zwischen Wissenschaft, Kunst und (echter) Magie, und zur Frage verführen: was wird Ihr nächstes Experiment sein?
Talks on site:
4. Artist Talk: “Parasiten in der Küche. Was parasitäre Kunst alles mit einer Küche zu tun haben könnte.”
Jakob Wirth, Künstler und PhD Kandidat in Künstlerischer Forschung, Bauhaus Universität Weimar.
26. Juni 2024, 18.00 – 19:30 Uhr, mit anschließender Parasite Kitchen und Getränken
An der Parasite Kitchen/Vorplatz Kunsthalle Mannheim.
5. Vortrag: “Die Küche als Labor und Atelier: Beobachtungen aus der Experimentellen Kulturwissenschaft”
Prof. Dr. Moritz Klenk, Kulturwissenschaftler, Hochschule Mannheim
3. Juli, 18:00 – 19:30 Uhr, anschließend offener Abend mit kleinen Speisen und Getränken in der Parasite Kitchen
Kunsthalle Mannheim, Auditorium oder draussen
Abstract
Die Küche ist seit jeher und oft noch immer das Zentrum jeder Wohnstätte und damit das Herz praktisch jeder (Wohn-/Lebens-) Gemeinschaft. Wenn man die Frage nach dem Wie zusammen leben stellt, so muss man sie also… in der Küche stellen! Dort werden ohnehin die wirklich wichtigen Fragen verhandelt. Zugleich gilt die Küche als profaner Ort des gewöhnlichen Lebens — fast unvorstellbar, dass er für die Kunst oder Wissenschaft von Interesse sein sollte. Aber gerade darum: müsste man nicht die Küche als Labor und Atelier des wirklichen Lebens verstehen? Und was würde man mit einem solchen Perspektivenwechsel sehen lernen?
Einrichten, ordnen, zubereiten, kochen, miteinander essen, abspülen, aufräumen, usw. — der Vortrag versucht all das als künstlerische Praxis und wissenschaftliche Methoden zu denken. Als eine große Fülle an sinnlichen, praktischen, theoretischen, ästhetischen Mitteln des Wie zusammen Lebens. Hier kommen Hitze, Zutaten, Körper, Ästhetik, Lust, Technik und Wissen zusammen. Kommen Sie vorbei — und bringen Sie Appetit auf Inspiration mit.
Team
Verantwortlich für die Durchführung von Seite der Hochschule Mannheim Prof. Dr. Moritz Klenk (Leitung und Organisation), sowie von Seite des Werkbund Baden-Württemberg e.V. Dr. Nina Rind (Leitung und Organisation).
Prof. Dr. Moritz Klenk (Leitung und Organisation)
Experimentelle Kulturwissenschaft
Website 1: https://experimentality.org
Website 2: https://www.gestaltung.hs-mannheim.de/fakultaet/menschen/professoren/moritz-klenk
Email: m.klenk@hs-mannheim.de
Dr. Nina Rind (Leitung und Organisation)
Kunstgeschichte, Architekturgeschichte
Website KIT: https://bg.ikb.kit.edu/949.php
Email: mail@ninarind.de
Jakob Wirth (Artist in Residence)
Künstler, PhD Kandidat Bauhaus Universität Weimar
Website: https://jakobwirth.net
Email: post@jakobwirth.net